Die Püschmanns
Neue Heimat mit alten Bekannten
Dass die Püschmanns beide jenseits der 80 sind, sieht man ihnen wahrlich nicht an. Viel haben sie erlebt und immer zusammengehalten. Eine gute Ehe und funktionierende Familie - das halte eben jung, meint Christine Püschmann und schenkt ihrem Mann einen liebevollen Blick. Dieser nickt wissend - stilles Einverständnis lässt erahnen, was die Zwei verbindet. Von über 60 Ehejahren, verbrachten sie 25 in Grünau, genauer gesagt im WK 5.1, und haben den einst nicht ganz freiwilligen Umzug hierher bis heute nicht bereut.
Damals waren sie eine Familie unter vielen, die als so genannte Kohleumsiedler in den Stadtteil kamen. Was sich so lapidar anhört, barg den Verlust eines großen Grundstückes nebst Zweifamilienhaus und Garten. Als man ihnen 1979 offerierte, dass ihr Heimatort Bösdorf dem Bagger wird weichen müssen, war das zumindest für Gerhard Püschmann keineswegs eine Neuigkeit. Als Maschinenbauingenieur und Projektant im Bereich Brikettfabriken tätig, war er bestens mit der Entwicklung des Abbaugebietes vertraut. So war es lediglich eine Frage der Zeit, wann ihr Dorf an die Reihe kam.
Für die Familie kam es jedoch nie in Frage, sich gegen die bevorstehende Umsiedlung zu wehren, denn abgesehen von allen Unannehmlichkeiten, die der Umzug nach Leipzig mit sich brachte, gab es auch einige positive Aspekte.
Garten und Haus verursachten jede Menge Arbeit und beanspruchten viel Zeit, die die Eheleute, welche beide auf die 60 zugingen, nicht hatten. Zudem würde für Gerhard Püschmann der weite Weg auf Arbeit entfallen. Damals pendelte der Maschinenbauingenieur schon seit annähernd 30 Jahren täglich zwischen Bösdorf und Leipzig. Bevor sie ihre neuen vier Wände beziehen konnten, sollten allerdings noch zwei Jahre verstreichen.
Ein, dem Kombinat Espenhain unterstelltes Umsiedlungsbüro kümmerte sich zunächst um die Angelegenheiten der Bösdorfer, regelte die Ablöse der alten Besitztümer und unterbreitete Wohnungsangebote. Püschmanns bekamen den Grundriss ihres neuen 70 Quadratmeter großen Zuhauses im Schönauer Ring, konnten vorab überlegen, welche Möbel sie mitnehmen und sich schon einmal an den Gedanken gewöhnen, bald nicht mehr im Garten sondern auf dem Balkon zu sitzen. Letzterer war für die ehemalige Stenotypistin Christine Püschmann ein Muss. Denn, so sagt sie, wenn man wie sie auf dem Lande groß geworden sei, brauche man einfach dieses Mindestmaß an Freiheit.
Ob es nun am Balkon lag, der weiten Sicht ins Grüne oder aber an ihren neuen alten Nachbarn, die wie sie selbst fast alle aus Bösdorf kamen und somit ihr Schicksal teilten - den Püschmanns fiel es nicht schwer, sich schnell einzuleben.
Zwar standen anfänglich die für Neubausiedlungen so typischen Gummistiefel auch vor ihrer Tür, der morgendliche Blick aus dem Wohnzimmerfenster ließ die Zugezogenen am Frühsport der kasernierten sowjetischen Soldaten teilnehmen und als Kaufhallen dienten lediglich zwei Hütten mit Wellblechdach - aber das blieb ja nicht lange so. Auf dem Kasernengelände baute Gerhard Püschmann in einer Gemeinschaftsanlage seine Garage und über einen Mangel an Einkaufsmöglichkeiten kann man sich im Wohngebietszentrum mit PEP- und Alleecenter sowie dem Kaufmarkt beim besten Willen nicht beklagen.
Abgesehen von der harmonischen Hausgemeinschaft, die trotz Neuzuzügen in letzter Zeit immer noch bestens funktioniere, hatte sich der Umzug nach Grünau aus noch einem anderen Grund als Glücksfall erwiesen. Denn die Mietwohnung verschaffte Christine und Gerhard Püschmann eine ungewohnte Ungebundenheit, die die beiden im Rentenalter vollends nutzen konnten. Einfach Türe zu und gut? In Bösdorf undenkbar, in Grünau reale Freiheit. Gemeinsam bereisten sie halb Europa - vor allem die Mittelmeerküste hatte es ihnen angetan. Zahllose Mitbringsel zieren die Wände ihrer Wohnung und künden vom einstigen Fernweh der beiden reiselustigen Rentner.
Heute, da es nicht mehr ganz so weit in die Welt hinaus geht, genießen die Püschmanns sonntägliche
Spaziergänge im Schönauer Park und am Kulkwitzer See oder einfach nur stille Stunden auf ihrem
geliebten Balkon. Ihre Wohnung oder gar Grünau verlassen - dieser Gedanke kommt den ehemaligen
Bösdorfern nicht in den Sinn. Nur wenn es gar nicht anders ginge, so der wieder einmal einhellige
Kommentar.
Klaudia Naceur