Woher kommt der Name Schwalbennest?
Straßen in Grünau (Teil 2)
Durch Grünau führen weit über 100 Straßen. Die meisten davon wurden erst mit der Entstehung des Wohngebietes gebaut und bekamen für die damalige Zeit typische Bezeichnungen wie »Straße der Waffenbrüderschaft« oder »Wilhelm-Pieck-Allee«. Andere, wie die heutige »Lützner Straße« oder die »Alte Salzstraße« sind historische Wegeverbindungen, die es schon gab, als an den Stadtteil noch gar nicht zu denken war. Und dann gibt es noch Namen wie »An der Lautsche« oder »An der Kotsche«, deren Ursprung den meisten unbekannt sein dürfte. »Grün-As« hat sich mit tatkräftiger Unterstützung des Journalisten Michael Schulze auf die Spur Grünauer Straßen begeben.
Begonnen haben wir unsere Serie mit der Diezmannstraße, einer Trasse also, die eher am Rande des Stadtteils gelegen, dafür aber nach einer durchaus interessanten, historischen Person benannt ist. Dieses Mal begeben wir uns nun mitten ins Grünauer Straßengeflecht, und zwar in den WK 5.1, und widmen uns einer vergleichsweisen kleinen Straße, deren Name allerdings auf eine gewisse Geschichte hindeutet. Der einstige Fußweg zweigt vom Schönauer Ring ab, kringelt sich im geschwungenen Karree um ein paar Fünfgeschosser und landet wieder auf dem Schönauer Ring. Seit dem 6. Februar 1980 heißt diese Straße »Am Schwalbennest«.
Heute wird der Wohnkomplex 5.1. oft nur noch als Schönau bezeichnet, was historisch gesehen eine gewisse Logik hat, befand sich doch einst an selber Stelle die alte Ortslage Schönau. Das Dorf, welches vermutlich bereits zu slawischer Zeit entstand und um 1285 erstmals als »Schonowe« erwähnt wurde, befand sich in Nähe der einst wichtigen Fernstraße von Leipzig über Markranstädt und Lützen nach Merseburg – die heutige Lützner Straße. Es war ein so genanntes Sackgassendorf, da es an einem Ende geschlossen war.
Um 1840 bestand es aus Rittergut, Gutshaus, Spritzenhaus, Schule, Kirche, zwei Armenhäusern, Brauerei, Gasthaus und einem ehemaligen Chausseehaus. Letzteres wurde damals bereits als »Schwalbennest« bezeichnet und um 1900 als Gaststätte eröffnet. Gasthäuser hatte Schönau zur Jahrhundertwende insgesamt drei. Der »Alte Gasthof«, der zunächst nur eine Schankerlaubnis besaß, wurde erstmals 1522 erwähnt. Erst 1845 erhielt die Besitzerin des Rittergutes die so genannte »Gasthofsgerechtigkeit«.
Noch mehr Geschichten ranken sich um dieses alte Lokal. So war es Schauplatz des traditionellen »Kuchenessens« am zweiten Sonntag nach Pfingsten. Dazu wurde ein Riesenkuchen gebacken, in dessen Inneren sich Lose verbargen. Die Stücke wurden verkauft. Der Brauch hielt sich bis 1917 und ist es durchaus wert, wiederbelebt zu werden. In den Zwanzigern des 19. Jahrhunderts war der Alte Gasthof Treffpunkt des Sozialdemokratischen Ortsvereins. Im April wurde er beim Einmarsch amerikanischer Truppen zerstört.
Kein alter Gasthof ohne einen neuen. Seit etwa 1875 hatte der alte mit dem Lokal »Zum goldenen Stern« Konkurrenz. Bis 1965 wurde dieser als »Neuer Gasthof Schönau« betrieben, die Gebäude 1980 jedoch abgebrochen. Doch kommen wir zurück zum Schwalbennest. Das Haus wurde 1797 gebaut, aber nicht als Gasthof oder Wohngebäude, sondern als so genanntes Chausseehaus. Darum befand es sich auch in unmittelbarer Nähe zur neuen Lützner Straße (oder Lützner Chaussee), die ab 1793 benutzt wurde.
Einziger Zweck dieses Gemäuers: Die Einnahme von Chausseegeld. Eine historische Maut sozusagen. Die Geldquelle versiegte schnell wieder, denn bereits 1824 verlegte man die Chausseegeldeinnahme nach Lindenau und Markranstädt – vermutlich aus logistischen Gründen. Das alte Chausseehaus wird erst wieder 1849 erwähnt – im Volksmund muss es zu dieser Zeit bereits seinen Namen Schwalbennest getragen haben. Erwähnt wird es im Zusammenhang mit seinem damaligen Besitzer, einem Zimmergesellen. Zu dieser Zeit herrschte eine hohe Arbeitslosigkeit und der Mann wollte mit Hilfe einer Schankgenehmigung einen neuen Broterwerb für sich schaffen. Die Genehmigung wurde ihm verwehrt.
Erst rund ein halbes Jahrhundert später wurde die Gaststätte schließlich eröffnet. Ihren Namen hat sie von einem Nest, das sich Schwalben auf einem großen Stahlträger in der Mitte des Lokals errichtet hatten. Es muss tatsächlich sehr eindrucksvoll gewesen sein, wenn es als Namensgeber taugt. Im Büchlein »Historisches rund um Grünau« findet sich folgendes Zitat: »Sie brüteten hier ohne Furcht und ungestört viele Jahre und flogen durch die Türe ein und aus bis 1909.«
Wie lange die Gaststätte als solche betrieben wurde, ist nicht eindeutig zu belegen. Fest steht, dass sie 1974 dem Leipziger Baukombinat kurzzeitig als erster Stützpunkt dient, das dort seine Bauleitung in den Räumlichkeiten eingerichtet hat. Christoph Kaufmann vom Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig nennt das »Schwalbennest« die »Keimzelle einer künftigen Großbaustelle«. Ob es nach Auszug des Baukombinates wieder als Lokal betrieben wird, ist nicht ganz klar. 1980 wird das Gebäude abgerissen.
In Vergessenheit sollte das Idyll dennoch nicht geraten: 1987 erhielt ein Hochhausrestaurant mit insgesamt 150 Plätzen den Namen »Schwalbennest« und jene Straße im WK 5.1. Das Restaurant verschwand zwar mitsamt dem Hochhaus um die Jahrtausendwende, aber die WBG Kontakt plant am Frankenheimer Weg ein Quartier, das an das Nest der Schwalben erinnern soll.
Klaudia Naceur / Michael Schulze // Quellen: Lexikon Leipziger Straßennamen, Historisches rund um Grünau, Wirtliches an der Pleiße, Leipziger Stadtgeschichte Jahrbuch 2016