Himmelblauer Trabant lädt zu therapeutischer Zeitreise
Akutgeriatrie des Grünauer Robert-Koch-Klinikums erhält Wandgemälde
Ist das echt? Ein himmelblauer Trabant hält am Wegesrand. Pappeln ragen hinter ihm auf. Wolken bilden Himmelslandschaften. Und darunter – ist das nicht ein See? Der Kulkwitzer? Ist das echt? – könnten sich manche Patienten bald fragen.
Echt oder nicht – darum geht es nicht. Entscheidend sind die Gedanken, die Erinnerungen, die mit der Szenerie geweckt werden. Erinnerungen an viele schöne Zeiten im Leben. Wachgerufen durch ein Wandgemälde. Realisiert wird es im Robert-Koch-Klinikum Grünau, das zum Klinikum St. Georg Leipzig gehört. Auch Altersmedizin zählt zu den Schwerpunkten der Grünauer Einrichtung. Dort, in der Klinik für Akutgeriatrie, im sogenannten Lichthof der Station, entsteht das Wandbild derzeit. »Der Lichthof ist ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt«, sagt Dr. Claudia Schinköthe. »Hier werden Mahlzeiten eingenommen, finden Arztgespräche statt, treffen sich Patienten mit ihren Angehörigen«, beschreibt die leitende Oberärztin den Ort. Einer, wo sich alle wohlfühlen sollten.
Heiter stimmt er schon jetzt: Das große Panoramafenster lenkt den Blick auf Grünauer Bäume im Frühling. Eine solche Stimmung lasse sich doch noch steigern, dachten sich die Mitarbeiter der Station. »Denn für manche Menschen kann ein plötzlicher Klinikaufenthalt einen Schock auslösen. Sie ziehen sich zurück. Andere Patienten haben Anzeichen von Demenz, können sich nur schwer erinnern. Ihre Sinne möchten wir anregen. Helfen können Anknüpfungspunkte durch die ergotherapeutische Biografiearbeit«, erklärt Dr. Schinköthe. Wie war der Tag am See? Der Urlaub auf dem Campingplatz? Die Fahrt mit dem Trabi übers Land?
»Die Menschen öffnen sich, beginnen zu erzählen. Wir können sie individueller behandeln«, so die Altersmedizinerin. Persönliche Erinnerungen – aus - gelöst durch die Illusionsmalerei. »Eine vom Förderverein St. Georg e.V. zur Verfügung gestellte, zweckgebundene Spende sichert die Finanzierung des Bildes. Durch unser Pflegepersonal entstand der Kontakt zu Marion Quitz.« Die 1969 in Cottbus geborene, in Burg im Spreewald aufgewachsene Künstlerin, absolvierte ein Studium an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst und arbeitet als Grafikerin und Illustratorin für verschiedene Auftraggeber.
Marion Quitz – »Ist sie nicht auch Musikerin?« – werden sich einige fragen. Stimmt: Die vielseitige Leipzigerin gründete die Band »Kupazukow« (Insel der Klänge), um niedersorbische Texte und Melodien auf neue Art zu interpretieren. Mittlerweile spielt die Gruppe auch internationale Lieder und Instrumentalstücke.
Gernre-Wechsel: Wie berichtet, zaubert Marion Quitz ja gerade Illusionen im Robert-Koch-Klinikum. Um das Wandbild im Stil der Illusionsmalerei zu schaffen, hat sie sich gründlich vorbereitet: »Hier«, zeigt sie Bilder auf ihrem Tablet: Familien am Strand, Badende, der Kulkwitzer See, ein Campingplatz. Fotos, die eine Zeitreise in die Vergangenheit möglich machen; mit denen sich Geschichten verbinden lassen. Da darf der Trabant natürlich nicht fehlen.
Ein Lied ebenfalls nicht: Marion Quitz tippt auf ihr Smartphone und schon ertönt: »Ein himmelblauer Trabant rollte durchs Land, mitten im Regen …«. Wer von der älteren Generation kennt diesen Hit nicht!? Fröhlich stimmt er auch in diesen Tagen. Eine Atmosphäre, die eben - so das 375 x 243 Zentimeter große Acrylbild vermittelt. Tag für Tag und manchmal auch spät nachts arbeitet die Malerin daran. »Es kommt noch eine Menge hin«, verspricht Quitz. Bänke, Blumen, Badende, ein Campingplatz? »Das werde nicht verraten.« Nur soviel: Ein Suchbild solle die Patienten aktivieren. Verschiedene Vögel versteckt in der Szenerie.
»Dadurch sind die Patienten eine Weile mit dem Bild beschäftigt«, erläutert die Künstlerin. »Entdecken Amsel, Drossel, Fink und Star. Summen vielleicht das beliebte Kinderlied, Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar wünschen dir ein frohes Jahr…« Andere lassen sich einfach nur von dem belebenden Bild mitreißen, tauchen in vergangene Zeiten ein. Für wieder andere können sich die Grenzen zwischen Schein und Sein auflösen: Ich bin am See, ich fahre im himmelblauen Trabant … – ganz im Sinne einer therapeutischen Illusionsmalerei.
Ingrid Hildebrandt