Mit dem Küchentisch in die Völkerfreundschaft
Martin Dulig in Grünau
Martin Dulig, Vorsitzender der sächsischen SPD und Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in unserem Land, stellte sich am 1. Oktober den Fragen der Bürgerinnen und Bürger. Er hatte seinen Küchentisch und drei Par teikolleginnen beziehungsweise -kollegen mit in die Völkerfreundschaft gebracht – Katharina Schenk, Dirk Panter und Holger Mann. Vier Plätze am Tisch waren also besetzt und vier weitere frei. Die sollten diejenigen einnehmen, die Fragen an die Politikerrunde hatten. Der Andrang war groß, Männer und Frauen nahmen Platz, griffen zum Mikro, fragten, bekamen eine Antwort und gingen zurück an ihren Tisch. 18 Tische, versehen mit jeweils sechs Stühlen, standen um des Ministers Möbel.
Martin Dulig erklärt zu Beginn, dass seine Küchentisch-Veranstaltungen Gespräche mit den Sachsen und Sächsinnen ermöglichen sollen und er aktuell »eine Diskrepanz zwischen guten Zahlen und schlechter Stimmung« wahrnehme. Kurz darauf beginnt die Diskussion, der Grünauer SPD-Chef Heiko Bär spricht die hohe Schulabbrecherquote und den hohen Anteil von Migranten in der 84. Schule an. »Wie können wir die Qualität der Institution Schule sichern?«, möchte er wissen. Durch Schulsozialarbeit, meint Holger Mann. »Wir müssen mehr Ressourcen bekommen«, sagt Dirk Panter, »aber das geht nicht so schnell.«
Dann wird nach den Hintergründen der Todesfälle in Chemnitz und Köthen gefragt. Die Polizei ermittele, heißt es von Martin Dulig, mehr wisse er auch nicht. Anschließend bittet eine Frau um Unterstützung für in der Pflege Beschäftigte. Martin Dulig möchte mit nach Lösungen suchen und erzählt von seinem Schnupper-Arbeitstag in dieser Branche. »Wertschätzung«, so erklärt er, solle zuerst von den Angehörigen der zu Pflegenden kommen, er finde aber auch einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag für Pflegefachkräfte wichtig.
Lärm macht krank
Ein Böhlitz-Ehrenberger macht den Verkehrsminister auf einen Widerspruch aufmerksam. Im Müglitztal bei Dresden plakatiert dessen Haus »Lärm macht krank«, während über Leipzig nachts die Flugzeuge dröhnen. Die Schilder bei Dresden, so Martin Dulig, sollen Auto- und Motorradfahrer von Rennen abhalten, anschließend verteidigt er den Leipziger Lärm mit den bekannten Wirtschaftsargumenten und bekräftigt die oft gehörte Position, er werde an der 24-Stunden-Betriebserlaubnis des hiesigen Flughafens nicht rütteln, er stehe dazu. Bekommen dann wenigstens die ältesten und lautesten Maschinen Flugverbot, wird nachgefragt. Martin Dulig weicht aus, er sei kein Jurist und wisse nicht, wer solche Verbote aussprechen könne.
Es geht weiter um Lärm. In Grünau-Mitte hatten Hausbewohner Bäume gepflanzt, die Stadt fällte diese vor zwei Jahren. Mit den Bäumen verschwand der Schallschutz, der Krach aus der nahen Turnhalle störe nun ungefiltert. Holger Mann will einen Kontakt zum Grünflächenamt vermitteln, Heiko Bär wird zum Kümmern herangeholt.
Nächstes Thema sind Mieterhöhungen beziehungsweise »Mietspiegelanpassungen«. Eine Frau fordert, der Staat solle nicht alles aus der Hand geben und zum Beispiel für seniorengerechte Wohnungen zu seniorengerechten Preisen sorgen. Ein Existenzgründungsberater beklagt die langen Bearbeitungszeiten der Sächsischen Aufbaubank (SAB) als »Standortnachteil«. SAB-Verwaltungsratsmitglied Martin Dulig widerspricht »ausdrücklich nicht«, er möchte den Dienstleistungscharakter der SAB stärken.
Hartz IV war ein Fehler
»Was konkret haben Sie falsch gemacht?«, wendet sich ein junger Mann an den Gastgeber des rund zweistündigen Abends. Und Martin Dulig antwortet: »Hartz IV war ein Fehler, aber die Arbeitsmarktreform an sich war richtig.« Außerdem gesteht der SPD-Mann ein, dass der auch von ihm in der Legislaturperiode 2004-2009 beschlossene Stellenabbau bei der sächsischen Polizei falsch gewesen sei. Da staunt das Publikum.
Als kurz darauf ein Fragesteller moniert, dass in der Politik vieles zu lange dauere, es nicht vorwärts gehe, und wenn, dann an Stellen, die weniger wichtig seien, reagiert Martin Dulig dünnhäutig und wird belehrend. Auch Dirk Panters Formulierungen, was doch alles »auf den Weg gebracht« und »in den Haushalt eingestellt« worden sei, helfen da nicht, wirken eher kontraproduktiv.
Am Ende zählt das Bemühen der nach Grünau gekommenen Sozialdemokraten und ihr Versuch, der schlechten Stimmung etwas entgegenzusetzen – ein Gespräch. Die Bürgerinnen und Bürger jedoch wünschen sich tatsächlich schnelle und spürbare Lösungen für ihre Probleme, die wiederum die Politiker gar nicht bieten können. Selbst wenn Martin Dulig wöllte, wäre er nicht in der Lage, etwas jetzt und sofort zu verfügen.
Zu weit auseinanderliegende Erwartungen treffen aufeinander. »Die schimpfen nur!«, denken die Einladenden solcher Runden sicher manchmal im Nachhinein. »Die machen ja doch nichts!«, denken etliche Besucher.
Bert Hähne