Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Das Grünau von Kiew

Gegenbesuch in der Ukraine

Der Stadtteil Darnyzja unserer Partnerstadt Kiew ist eine Großwohnsiedlung – allerdings zehn Mal größer als Grünau. Kurz vor Pfingsten besuchte bereits eine Delegation aus Stadtteilpolitikern, Stadtentwicklern, Schuldirektoren und Kulturmachern Grünau, um sich mit hiesigen Gestaltern über Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Gestaltungsmöglichkeiten auszutauschen. Ziel des von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) über das Programm »Schnellstarterpaket Ukraine« geförderten Austauschs ist die Anbahnung gemeinsamer Projekte unter der Prämisse »Gestaltung eines Stadtteils zu einem lebenswerten Ort«.

Anfang Oktober erfolgte der vom Referat für Internationale Zusammenarbeit organisierte Gegenbe such. Zur Gruppe gehörten Almut Haunstein (Theatrium), Oliver Kobe (KOMM-Haus), Gesine Oltmanns (Euromaidan Leipzig e.V.), Siegfried Schlegel (Die Linke, Mitglied des Stadtrats und der WBG Kontakt eG) sowie Eike Sievers (Stadtplanungsamt). Wie beim Besuch der Ukrainer in Grünau ging es vornehmlich darum, die Strukturen vor Ort kennenzulernen, Kontakte zu Akteuren zu knüpfen und erste Ideen für mögliche Kooperationen zu entwickeln.

Bei einer Stadtteilrundfahrt wurden die Größenunterschiede zu Grünau deutlich: Kaum eines der Gebäude ist kleiner als elf Geschosse, viele haben zwischen 20 und 25 Stockwerke. Ausgebaute Erholungsgebiete sind rar und müssen immer wieder neuen Bauprojekten weichen, weshalb es hin und wieder zu teils gewalttätigen Konflikten kommt.

Im Unterschied zu den recht freundlich sanierten Fassaden vieler Grünauer Blocks sind die Außenseiten der Gebäude in Darnyzja oft in schlechtem Zustand. Kreative Ideen sollen zukünftig helfen, die Tristesse aufzubrechen und Wohlfühl-Impulse setzen. So soll der sogenannte Broadway, ein Fußgänger- Boulevard, der momentan unter Vermüllung und Unruhe leidet, in den nächsten Jahren zu einem lebendigen Freiraum aufgewertet werden. Im Vorbeifahren tauchen immer wieder interessante Großgrafiken auf – Street-Art-Bilder, die sich über komplette Fassaden erstrecken und von Weitem sichtbar sind.

Kindergärten mit Schwimmbecken

Der vollgepackte Terminkalender enthielt aber auch Themen wie Bildung, Seniorenarbeit sowie Verwaltungsstrukturen. Besonders stolz sind die Kiewer auf ihre Vorzeige-Schulprojekte. Schule und Bildung haben einen hohen Stellenwert, was eindrucksvoll an den modernsten Bildungseinrichtungen gezeigt wurde. Selbst Kindergärten haben hier eigene Schwimmbecken. Da kamen die Grünauer beim Blick auf die eigenen Schulgebäude ins Staunen!

Nun ging es in die Lebenswelt der Senioren. Im Zentrum für soziale Dienstleistungen wurden die Leipziger mit Brot und Salz begrüßt. Das Haus ist vergleichbar mit einem Soziokulturellen Zentrum und bietet diverse Möglichkeiten der kreativen Teilhabe und Förderung. Neben beeindruckenden Handarbeits- und Malereiarbeiten zogen die Gäste die Auftritte diverser Folklore-Ensembles in ihren Bann, die mit bezaubernden Trachtenkostümen und mitreißend dargebotenen Gesängen ein Stück traditioneller ukrainischer Kultur vermittelten.

Fortschrittliches wurde auch auf politischer Ebene präsentiert: Der Kiewer Bürgerhaushalt erlaubt es Einzelakteuren, Infrastruktur- und soziale Projekte zu entwickeln und mit entsprechender Mehrheit durch die öffentliche Hand umsetzen zu lassen. Das Beispiel der Gestaltung eines Uferbereichs zur Naherholung wurde von den Leipzigern interessiert aufgenommen, denn auch bei uns wird die Einführung eines Bürgerhaushaltes bereits diskutiert.

Die Erfahrung der Genossenschaften

Weniger erfolgreich erscheint dagegen die Wohnungswirtschaft in Darnyzja: Das Verschenken sämtlicher Wohnungen nach der Wende an die Bewohner führte zu einer unübersichtlichen Zahl an Einzelei gentümern. Durch fehlende Verwaltungsstrukturen gibt es nun Probleme mit der Bewirtschaftung der Gemeinschaftsflächen, der Sanierung der Häuser und der Bestellung von Hausmeisterdiensten. Die Kiewer wünschen sich hier wie in kaum einem anderen Bereich einen Erfahrungsaustausch mit den Grünauern und deren Wohnungsgenossenschaften.

Nach vielen gesammelten Eindrücken bleiben auch einige Fragen: So vorbildlich die gezeigten Einrichtungen sind – es wurde nicht klar, wie der Durchschnitt der Schulen ausgestattet ist. Auch von der Anzahl an kulturellen und sozialen Einrichtungen konnten wir uns kein Bild machen.

Letztlich entstand aber der Eindruck eines lebendigen Stadtteils, der vor gewaltigen Aufgaben steht und über viel Entwicklungspotenzial verfügt. Auch wenn die Ukraine zu den ärmsten Ländern Europas gehört, werden hier mit viel Enga gement der Bürger großartige Projekte umgesetzt, einige auch beispielhaft für uns. In einer Partnerschaft auf Augenhöhe können beide Seiten voneinander profitieren. Um das zu konkretisieren, wird vom 3. bis zum 7. Dezember in Leipzig noch einmal eine Delegation aus Kiew-Darnyzja erwartet. Es bleibt zu wünschen, dass dabei konkrete Kooperationen auf den Weg gebracht werden.

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