Intervallstudie 2000
Teil 4 - Ein guter Nachbar ist Goldes wert!
Wer ist ein guter Nachbar? Einer, auf dessen Hilfe man sich verlassen kann, wenn mal Not am
Mann ist, der sich an die Hausordnung hält und Rücksicht auf andere nimmt, der freundlich ist
und grüßt, aber einem nicht allzu dicht »auf die Pelle«
rückt. Weder dicke
Freundschaft mit allen im Haus als das eine Extrem, noch Anonymität als das andere sind
erwünscht. Wenig beliebt sind rücksichtslose Nachbarn, die sich an keine Ordnung im Haus halten
und auch auf gut gemeinte Ratschläge nicht reagieren. Genau das läßt sich aus den
Befragungsergebnissen ablesen!
Entgegen vielen Vorurteilen zur Qualität der Nachbarschaftsbeziehungen nach der Wende scheint sich bei den Grünauern in dieser Hinsicht nicht allzu viel geändert zu haben: Über die Hälfte der befragten Haushalte findet die Atmosphäre im Haus nach wie vor gut, 40% machen kleinere Einschränkungen, aber nur knapp 8% finden sie schlecht. Fast zwei Drittel sind fest davon überzeugt, dass sie mit Nachbarschaftshilfe rechnen können und nur 12 Prozent sind eher skeptisch, dass sie die nötige Hilfe bekommen würden. Wie zu erwarten war, gibt es bei der Beurteilung der Nachbarschaftsbeziehungen Unterschiede z.B. nach der Wohndauer: Wer noch nicht so lange Grünauer ist, beurteilt die Hausatmosphäre nicht ganz so häufig positiv, aber relativ selten als schlecht.
Eine positive Meinung überwiegt auch bei der Bezeichnung der Qualität der
Nachbarschaftsbeziehungen - die Skala reichte hier von der Qualität
»Freundschaft«
bis zu »kein Auskommen«
. Von allen 560
befragten Haushalten bescheinigten nur 3 Personen, dass es mit den Nachbarn »kein
Auskommen«
gibt. Sie stammen aus den Wohnkomplexen 2, 4 und 8 und es ist je ein
Mieter der LWB, der Aubis (jetzt WSHG) und von Baywobau und Krulich. Dagegen gibt es bei den
»Neu-Grünauern«
(die noch keine 5 Jahre in Grünau wohnen) genau so viel
Freundschaften im Haus wie bei den »Alt-Grünauern«
. Von der Wohndauer hängt
jedoch das Ausmaß der erwarteten und gewährten Unterstützung ab, ein Nachbarschaftsverhältnis,
was sich in der Tat erst mit der Zeit auf der Basis gegenseitiger Achtung und des Vertrauens
herausbildet.
Man hat als Mieter die Erfahrung gemacht, dass viele Kontakte im Wohnhaus über die Kinder
hergestellt werden: sie freunden sich schneller an als die Erwachsenen, sie kennen sich aus dem
Kindergarten oder der Schule oder aus gemeinsamem Spiel im Wohngebiet. Daher wollten wir auch
wissen, ob es Unterschiede in den Nachbarschaftsbeziehungen zwischen kinderlosen Haushalten und
Haushalten mit Kindern gibt. Beim Wunschverhältnis zum Nachbarn gibt es überhaupt keine
Unterschiede nach der Kinderzahl: Ob mit oder ohne Kinder wünschen sich fast alle, dass man
sich »näher kennt«
(72%), rd. 20% wünschen sich nur eine »flüchtige
Bekanntschaft«
mit dem Nachbarn und rd. 6% wünschen sich richtige Freundschaft.
Anonymität wünschen sich nur ganz, ganz wenige. Haushalte mit Kindern haben nach eigenen
Aussagen häufiger »nur Grußkontakt«
als kinderlose Haushalte, zwischen denen
die Anzahl der »unterstützenden«
Nachbarn größer ist.
Das wird aber
daran liegen, dass die inzwischen kinderlosen Haushalte vor allem die »Alt-
Grünauer«
sind, die schon lange in Grünau wohnen und auch hier gemeinsam älter
geworden sind. Die »Kontaktlosen«
- also die keinen Kontakt zu ihren
Nachbarn haben - sind dagegen sehr seltene Zeitgenossen und unter Kinder-Haushalten und
kinderlosen Haushalten gleichermaßen selten anzutreffen.
Bei der zu erwartenden Nachbarschaftshilfe gibt es nur geringfügige Unterschiede zwischen
den beiden Haushaltstypen »Kinder«
und »kinderlos«
: Die
Mehrheit aller Haushalte ist davon überzeugt, eine notwendige Hilfe vom Nachbarn zu erhalten,
und zwar 63% der kinderlosen und 58 Prozent der Haushalte mit Kindern. Das ist ein sehr gutes
Ergebnis und beweist einmal mehr, dass das berüchtigte Vorurteil von der Anonymität der
»Platte«
und der schicksalhaften Vereinsamung in der Großstadt für Grünau nicht
zutrifft. So unterschiedlich die Menschen in ihrem Verhalten und ihren Interessen sind, so
unterschiedlich gestalten sich auch die Verhältnisse unter Nachbarn. Das
»Typische«
bleibt aber das Bedürfnis nach Kontakt und Hilfe, nach
Freundlichkeit und Rücksichtnahme - da macht Grünau keine Ausnahme. Und jetzt zur Adventszeit
und bei der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest denkt vielleicht der eine oder andere ganz
besonders an seinen Nachbarn, und womit er ihm eine Freude machen kann.
Und auch mir könnten Sie eine Freude machen! Ich beabsichtige, über die Entwicklung Grünaus ein Buch zu schreiben, und zwar aus der Sicht meiner soziologischen Untersuchungen und Befragungen seit 1979 bis zum Jahre 2000. Ich möchte vielen Bewohnern großstädtischer Plattensiedlungen, aber auch interessierten Stadtplanern, Architekten, Kommunalpolitikern und natürlich meinen Fachkollegen der Stadtsoziologie von der Entwicklung, Wandlung, Veränderung Grünaus aus der Sicht seiner Bewohner über einen Zeitraum von 20 Jahren berichten. Dafür brauche ich nochmals Ihre Hilfe:
Ich möchte Grünauer in ihrem Wohnzimmer fotografieren und dazu ein kleines Gespräch führen.
Sie müßten mir erlauben, das Foto in dem Buch zu verwenden - ob Sie Ihren Namen angeben oder
nicht, überlasse ich selbstverständlich Ihnen.
Wer dazu bereit wäre, müßte sich bis Ende
Dezember 2000 bei mir melden. Entweder telefonisch: 0341 - 2329865, oder per Fax: 0341 - 2315
865, oder per e-mail: FOWO.Kahl@t-online.de oder per Brief oder Karte an Prof. A. Kahl,
Dorfstraße 39, 04318 Leipzig. Als Angabe brauche ich natürlich Ihre Adresse, Ihr Alter,
Geschlecht und Familienstand. Machen Sie mit? Ich würde mich freuen.
Bis zum Januar 2001.
Prof. Alice Kahl führte im Jahr 2000 die Studie zum Leben in Grünau fort. Grün-As veröffentlichte 2000 und 2001 insgesamt sechs Artikel mit den Ergebnissen der Studie:
Ausgewertet Es geht aufwärts! Wer bleibt - wer geht? Ein guter Nachbar Wohnwünsche Image & Perpektive
Weiter>>>